Es zeigte sich, dass Österreich-Ungarn viel weniger als ein „initiierender Akteur“ als eine auf Vorstöße von Rivalen eingehende Instanz in das internationale Geschehen eingriff, weniger agierte als reagierte und vor allem „mehr auf Abwehr“ und Wahrung des Besitzstandes eingestellt blieb. Das galt schon für den Einstieg 1866/67, wo ein gravierender Unterschied zur Vorgeschichte des deutschen Kaiserreiches bestand: Während die deutsche Reichsgründung sich als ein Prozess der offensiven Vorstöße abspielte, war die Begründung der Doppelmonarchie defensiver Natur. „Die Geschichte Österreich-Ungarns begann und endete mit verlorenen Kriegen, vor 150 Jahren mit dem österreichisch-preußischen und vor 100 Jahren mit dem Ersten Weltkrieg“, schreibt Konrad Canis mit Recht. Schließlich war es ein historisch gewachsenes, in vielem „überlebtes Vielvölkerreich“ in einer Zeit, als in Europa der bürgerliche Nationalstaat zu dominieren begann.
Der deutsche Reichskanzler Otto von Bismarck (1815-1898) sollte 1866/67 schließlich das erreichen, was dem preußischen Monarchen Friedrich Wilhelm IV. 1850 versagt geblieben war: Die Neutralisierung des Faktors „Österreich“ als aktive Größe bei der Gestaltung der deutschen Verhältnisse.“[i] Die Epoche des 1871 gegründeten Deutschen Kaiserreichs fällt zusammen mit einer ersten Welle der ökonomischen Globalisierung, von der gerade Deutschland profitiert hatte. Bismarck hat diese Zeitspanne über weite Strecken maßgeblich zuerst als preußischer Ministerpräsident und dann als Reichskanzler bis 1890 geprägt.[ii] Österreich dagegen befand sich industriewirtschaftlich ebenso noch in den Anfängen wie in der Entwicklung einer bürgerlichen Gesellschaft. Staatspolitisch befand es sich in einem widersprüchlichen Übergang zwischen Altem und Neuem. Man befand sich gewissermaßen „im Nachtrab“ nicht allein gegenüber der deutschen nationalen Bewegung, sondern auch gegenüber der italienischen, und auch mit einigen sich formenden slawischen nationalen Bewegungen. Die führenden Großmächte, England, Russland und Frankreich, standen bis 1866 in doppelter Frontstellung gegen Österreich – nicht nur, weil sie mit den nationalen Emanzipationsströmungen im Habsburger Reich sympathisierten, sondern weil sie auch den aus der Zeit des früheren Staatskanzlers Clemens Fürst Metternich stammenden Rest der einstigen universalen machtpolitischen Dominanz Österreichs in Europa hinwegzufegen entschlossen waren. Österreich-Ungarn blieb als „im Abstieg befindliche Großmacht“ nach innen wie nach außen erstarrt und befand sich mehr oder weniger „im Abseits“. Man fungierte ungewollter Weise über weite Strecken nur mehr als ein von Berlin abhängiger Bündnispartner. Für Russland stellte die Doppelmonarchie ein Hindernis auf dem Balkan und gegen Deutschland dar. Frankreich unterstütze Russland dabei. Auch Großbritannien hatte sich von Wien abgewandt, das in früheren Jahrzehnten stets seine Nähe suchte, um russische Machtambitionen am Kontinent einzudämmen.
Die Hoffnung Österreich-Ungarns, mit einem schnellen Sieg gegen Serbien nach der Ermordung des österreichischen Thronfolger-Ehepaares am 28. Juni 1914 den „drohenden großen Krieg“ vielleicht abwenden zu können, blieb eine Illusion.
Das Europäische Konzert hatte schließlich kläglich versagt. Man hatte Bismarcks Diktum vergessen, das besagte: „Wehe dem Führer, dessen Argumente am Ende eines Krieges nicht mehr ebenso plausibel sind wie zu Beginn“.[iii]
Wolfgang Taus