China und Russland als primäre Treiber des globalen Wandels - USA am Rückzug Wir leben inmitten eines geopolitischen Umbruchs - weg von einer bislang nach dem Ende des Kalten Krieges rund 20 Jahre währenden, westlich geprägten Weltordnung unter Führung der Weltmacht USA - hin zu einer multipolaren geopolitischen Weltordnung. Letztere wird verstärkt geopolitisch und weniger wertepolitisch geprägt sein. Der Ukraine-Krieg Russlands war und ist der eigentliche "Startschuss" für eine deutliche Unterminierung der westlich dominanten Ordnung mit ihren internationalen Institutionen wie Internationaler Währungsfonds oder Weltbank. China als nunmehr aufgestiegene Großmacht, wenn nicht Weltmacht, hat mittlerweile mit seinem ökonomisch-machtpolitischen, weltumspannenden "Neuen-Seidenstraßen"-Projekt immer mehr Fakten geschaffen, um gemeinsam mit einem in der Ära von Präsident Wladimir Putin zur Wiedererlangung des Großmachtstatus ausgerichteten Russland, den globalen ökonomisch-politisch-militärischen Einfluss Amerikas und seiner Verbündeter und Partner in der Welt zurückzudrängen.
Bei der Analyse des Aufstiegs und Falls früherer Imperien ist der Begriff der "strategischen Überdehnung" besonders passend für jene langsam "verglühenden" Machtkonglomerate. In den Endphasen dieser sich "ausschleifender" Geschehnisse scheinen solche Mächte stets stark an finanzpolitischer und ökonomischer Kraft im Weltmaßstab zu verlieren, obwohl man noch immer militärisch hochgerüstet war. Das British Empire musste aufgrund des enormen "Aderlasses" infolge zweier Weltkriege nach 1945 sein Weltreich sukzessive aufgeben. Das "Commonwealth" ist gelinde gesagt, das "Etikett für ein schleichendes Ende einer Weltmacht". Die Vereinigten Staaten von Amerika waren - zusammen mit der UdSSR Josef Stalins - die eigentlichen Profiteure des neuen globalen Machtgefüges, das den Kalten Krieg und damit den globalen Ost-West-Gegensatz einläutete. Erst mit dem Fall der Berliner Mauer 1989/90, dem Implodieren des Sowjetimperiums, begann eine neue, rund zwanzig Jahre währende Ära unter Führung der einzig verbliebenen Weltmacht USA unter international liberal-demokratisch-kapitalistisch geprägten Vorzeichen. Erst die russische Annexion der Krim 2014 und der russische Angriffskrieg auf die Ukraine ab Ende Februar 2022 scheint die bisherige westlich dominierte Weltordnung zu beenden.
China China hat bereits in den letzten Jahrzehnten intensiv daran gearbeitet, die internationalen Institutionen der UNO immer mehr auch für seine Interessen mit eigenem Personal zu besetzen und verfolgt damit nicht mehr "rein westlich" orientierte Strategien im Rahmen der Weltorganisation. Der UNO-Sicherheitsrat als höchstes UNO-Gremium bleibt trotz diverser Reformvorstöße der internationalen Staatenwelt ein "Hort der Vetomächte" USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich. Gerade hier merkt man als Beobachter den deutlich harscher gewordenen Ton gegensätzlicher Positionen und Sichtweisen durch deren diplomatische nationale Spitzenvertreter.
Indien Indien als nach China langsam aber sicher ebenfalls (wieder) zu einer Großmacht heranreifender südasiatischer Subkontinent wird in den nächsten Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts eine neben den USA, China, Russland und - möglicherweise auch der Europäischen Union - eine immer signifikant dominantere geopolitische und geoökonomische Rolle im internationalen Konzert der Mächte spielen. Indien ist nicht nur ein Land mit enormen geografischen Ausmaßen, weiterhin geprägt von großen sozialen Unterschieden und alten Hochkulturen. Es ist eine Weltregion, wo die Verschiedenartigkeit in der Fülle zerfließt. Einst strahlte Indien vor allem als kulturell-religiöser und sozio-politischer Faktor weit über das heutige Territorium hinaus und hat ganz Südasien beeinflusst. Indien - es reichte von Afghanistan bis nach Burma. Die Geschichte dieses vielschichtigen und multidimensionalen Raumes hat keinen Anfang, keine Chronologie, reicht aber weit zurück bis 2600 v. Chr. - Obwohl der Buddhismus über Jahrhunderte die dominierende Religion war, starb der Hinduismus auch unter den zahllosen Eroberern (wie den Arabern ab dem 8. Jahrhundert bis zu den muslimischen Herrschern des Mogulreiches ab dem 16. Jahrhundert) nie aus und konnte seine Stellung langfristig behaupten. Die Briten waren die letzten fremden Herrscher - von 1757 bis 1947. Nach der Teilung des britischen Kolonialreiches in unabhängige Staaten wurde die Region zum Pulverfass: In Kaschmir stehen sie die mittlerweile zu Atommächten mutierten Rivalen Indien und Pakistan, die schon mehrmals gegeneinander Krieg geführt haben, weiterhin mehr oder weniger unversöhnlich gegenüber. Mit dem großen Nachbarn China, mit dem es 1962 zu militärischen Grenzauseinandersetzungen kam, hat Indien ebenfalls ein mehr als genspanntes Verhältnis. Indien wie China sind mittlerweile in das "Konzert als zukünftige Weltraummächte" aufgestiegen. Trotz aller sozialer, religiös-politisch motivierter Verwerfungen Indiens ist nicht sofort, aber in weiterer Zukunft auf globaler Ebene merkbar zu rechnen.
Die "angloamerikanische Welt" wird auch in Zukunft ebenso ein geopolitischer Machtfaktor sein wie die von Putin ausgerufene "russische Lebenswelt". Vor allem aber dürfte Chinas globales "Neues-Seidenstraßen"-Projekt immer mehr an Fahrt aufnehmen. Auch wenn der große Nachbar Indien noch derzeit "hinterherhinkt", wird auch Indien - wahrscheinlich eher im BRICS-Staatengefüge weniger "westlich", als "östlich" ausgerichtet bleiben.
EU Die Europäische Union wird sich wahrscheinlich nicht in dieser Form eines Brüsseler "Zentralstaates" in weiterer Zukunft weiterentwickeln. Um die politischen "Fliehkräfte" angesichts eines immer weiteren Rückzugs der Amerikaner - auch vom europäischen Kontinent - abzufedern, werden die europäischen Partnerländer gut beraten sein, möglichst rasch politisch-militärisch-ökonomisch "selbstständig" und "erwachsen" zu werden. Das bedeutet kein neuerliches "imperiales Großmachtdenken", sondern es wird zu einem "Gebot der Stunde". Die Bündelung militärischer Kräfte der Europäer - ohne Aufgabe ihrer westlich-demokratischen Ausrichtung und Verfasstheit - ist dann notwendig, um sich als primäre Wirtschaftsgroßmacht im globalen Wechselspiel zwischen neuem Ost und West zu behaupten.
Abgeschlossen Ende Dezember 2023
Wolfgang Taus