Es bleibt dabei: Das Auftreten der Weltmacht USA in der Ära von Präsident Donald Trump ist geprägt von verstärkter Machtprojektion, aber auch von zahlreichen, ungewohnt öffentlich sichtbaren Widersprüchen, gegensätzlichen Ankündigungen und nachfolgend Handlungen.
Es stimmt: Der massive US-Luftschlag auf einen syrischen Militärflugplatz bei Homs war zusammen mit dem kurze Zeit später erfolgten, erstmaligen Einsatz einer konventionellen US-Mega-Bombe gegen Tunnelsysteme der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) in Afghanistan in erster Linie eine präventive martialische Drohgebärde gegenüber einem für Amerika wesentlich drängenderen Problem, nämlich dem atomar gerüsteten und immer provokanter agierenden kommunistischen Regime Nordkoreas.
Hier geht es nicht darum, die „Irrfahrt“ der US-Trägergruppe der „USS Carl Vinson“ zur koreanischen Halbinsel zu dokumentieren, obwohl diese Geschichte alleine schon ein weiteres Beispiel für die derzeitige Politik der „Unwägbarkeiten“ Washingtons darstellt.
Nein, diesmal soll Afghanistan näher beleuchtet werden: Der verheerende blutige Terroranschlag vom 21. April auf einen Stützpunkt der afghanischen Armee nahe der Großstadt Mazar-e Sharif in Nordafghanistan markierte einmal mehr die zunehmende Schlagkraft der aufständischen Taliban im Lande. Zudem erwächst neben den Taliban seit Mitte 2014 eine weitere islamistische Bedrohung für die fragile afghanische Zentralregierung: der IS.
Der IS fasst in Afghanistan Fuß Als damals die ersten IS-Emissäre bei den Taliban in Afghanistan erschienen, wurden diese willkommen geheißen. Der IS stellte sich dabei als eine weitere dschihadistische Organisation vor, die Angriffe auf staatlichen Stellen und die afghanischen Streitkräfte führen wollte. Dabei würde man mit den Taliban weitgehend zusammenarbeiten wie ähnliche Organisationen (etwa Al Kaida oder die Islamische Bewegung Usbekistans), wurde von IS-Seite damals beteuert. Die IS-Emissäre waren meist gebürtige Afghanen, die zu Beginn des syrischen Bürgerkriegs von den Taliban nach Syrien abkommandiert worden waren, um sich in den Reihen der mit Al Kaida verbündeten Jabhat al-Nusra (al-Nusra-Front) in der Region militärisch zu engagieren. Im Falle von Al Kaida boten die Taliban Bargeldhilfe im Austausch für „Gastfreundschaft“ an.
Die sunnitischen Rechtsschulen der Taliban In Afghanistan bestimmen im Wesentlichen drei Hauptzentren der Macht der Taliban: die Quetta Schura, die Miranshah Schura (besser bekannt als Haqqani-Netzwerk) und die Peschawar Schura. Die letzten zwei sunnitischen Rechtsschulen der Taliban unterzeichneten Übereinkommen mit dem IS, in denen sie dem IS ihr Recht zusprachen, auf afghanischem Territorium militärisch gegen Kabul aktiv werden zu können – in enger Absprache aber mit den Taliban, denen zudem hohe Geldspenden vom IS in Aussicht gestellt worden waren.
In den Abkommen der Taliban mit dem IS stand kein Wort über eine mögliche Missionierungstätigkeit des IS in Afghanistan, um Taliban-Kommandanten und Kämpfer zum Überlaufen zu bewegen. Das hielten die Taliban damals nicht für nennenswert. Die Quetta Schura hingegen verweigerte sich, das Übereinkommen mit dem IS zu unterzeichnen, weil der Machtanspruch des obersten IS-Führers Abu Bakr al-Baghdadi mit dem Machtanspruch des obersten Taliban-Führers Mullah Omar in direkter Konkurrenz stand.
Und tatsächlich hielt sich der IS nicht an die Abmachungen mit den Taliban. Im Jänner 2015 rief der IS in Afghanistan dann die “Wilayat Khorasan“ („Provinz Khorasan“) aus. „Khorasan“ ist die historische Bezeichnung für eine Region, welche auch Afghanistan umfasste. Dazu gehören neben Nangarhar die Provinzen Logar, Paktia und Laghman. In den paschtunischen Stammesgebieten Pakistans dürften die Bezirke Orakzai, Khyber, Peshawar, Hangu und Kurram zu dieser „Provinz“ zählen.
Der IS – kein „Untermieter“ der Taliban Der IS verhielt sich dabei nicht als „Untermieter“ der Taliban in Afghanistan, sondern als direkter Herausforderer des streng-sunnitisch-islamistischen Glaubens- und Rechtsanspruches mit dementsprechender Machtprojektion am Hindukusch. Derzeit sucht der IS nach Möglichkeit Waffenstillhalteabkommen mit lokalen Taliban-Kommandeuren. Aus ideologischen, finanziellen und praktischen Gründen suchen auch das Haqqani-Netzwerk (die „Schura des Nordens“ der Taliban) und die pakistanische Extremistengruppe Tehrik-i-Taliban vorerst keine direkte Konfrontation mit dem IS in der Region. Im Gegensatz dazu versteht die Quetta Schura der Taliban die Terrormiliz in Afghanistan als direkte und nicht akzeptable Herausforderung.
Der IS ist eben nicht eine nur lose an die Taliban angebundene Splittergruppe, wie manche Beobachter glauben, sondern aufgrund seiner zunehmend erfolgreichen „Missionierungstätigkeit“ in den Reihen der Taliban-Fraktionen ein zunehmend beunruhigender, ernstzunehmender Machtfaktor nicht nur für die afghanische Zentralregierung, sondern auch für die USA als Kabuls „Schutzmacht im Hintergrund“.
Verstärkte US-Präsenz in der Region? Schon Trumps Vorgänger, Barack Obama, zog einen Großteil der US-Einheiten Ende 2014 aus Afghanistan ab. Noch steht in der Ära Trump aus, in welcher Truppenstärke die USA im Land am Hindukusch Präsenz zeigen werden. Entgegen dem früheren Wahlkampfgetöse Trumps, wonach Afghanistan zu jenen „Einsätzen“ zähle, die Hunderte Milliarden US-Dollar verschlingen, aber kaum sichtbare Ergebnisse bringen würden, scheint das Pentagon eine mögliche Aufstockung um 3000 bis 5000 US-Soldaten zu planen. Hat dies alleine nur mit dem Erstarken der Taliban und des IS im Lande zu tun?
Nein: US-Verteidigungsminister Jim Mattis erklärte bei seiner jüngsten Kabul-Visite in bisher ungewohnter Deutlichkeit, dass er Nachrichten über russische Waffenliegerungen an die islamistische militante Opposition für glaubhaft halte. Dies sei ein eklatanter Verstoß gegen internationales Recht, betonte er. Tatsächlich hat Moskau bereits seit einiger Zeit eine eigene Friedensinitiative für das Land am Hindukusch auf den Weg gebracht, wobei die russischen Vermittler mit allen Seiten Gespräche führen (auch mit den aufständischen Taliban).
Russische Waffenlieferungen an die Aufständischen? Wenn russische Waffen wirklich den Weg zu den islamistischen Aufständischen finden, dann dürfte Moskau nun den Spieß am Hindukusch nach dem verlorenen sowjetischen Afghanistan-Krieg in den 1980er Jahren gegenüber Washington wieder umkehren: Damals unterstützen die Amerikaner die aufständischen Mudschaheddin (aus deren Reihen sich nicht nur die späteren Taliban, sondern auch das Terrornetzwerk Al Kaida unter Osama bin Laden herausentwickelte) militärisch gegen die Sowjets. Der Ausgang ist bekannt… Und heute?
Es ist nicht übertrieben, zu behaupten: Die US-Strategie gegenüber Afghanistan bleibt vorerst weiter vage. Ein erneutes russisches Eingreifen am Hindukusch auf Seiten der Aufständischen (wobei nicht klar ist, welche Taliban-Fraktionen etwaige russische Waffen geliefert erhalten) dürfte allerdings dazu führen, dass die US-Administration unter Trump den Krisenraum am Hindukusch wieder deutlicher in den militär-strategischen Fokus rückt.
Dazu kommt, dass der IS in Afghanistan ein Engagement Moskaus zugunsten der Taliban höchstwahrscheinlich über kurz oder lang nicht tolerieren wird, da damit die militärische Position des IS gegenüber den Taliban geschwächt werden würde. Eine markante große Konfrontation der Taliban mit “Wilayat Khorasan“ steht noch aus.
Instabile Gemengelage – Neuauflage des „Great Game“? Dazu kommt vor dieser zunehmend instabiler werdenden Gemengelage am Hindukusch die offenkundige Schwäche der afghanischen Zentralregierung und ihrer Institutionen im Spannungsverhältnis zwischen Präsident Aschraf Ghani und seinem Regierungsbevollmächtigten Abdullah Abdullah in einer stark von Korruption beherrschten Gesellschaft, wo auch der Opiumhandel trotz aller Bemühungen zur Eindämmung weiter als „strategisches Kapital“ zumindest der Aufständischen dient.
Erwartet jetzt der Krisenraum am Hindukusch eine veränderte Neuauflage des „Great Game“ – diesmal nicht zwischen Großbritannien und Russland wie im 19. Jahrhundert und dem Afghanistan-Abenteuer der Sowjets im zu Ende gehenden Kalten Krieg, sondern nun zwischen den USA und Russland? Welche Rolle im Hintergrund spielen dabei neben dem stark involvierten Nachbarland Pakistan vor allem auch die Regionalmächte Indien und China?
Man wird sehen…
Abgeschlossen am 27.4.2017
Wolfgang Taus