Zur Verortung von Religionsgemeinschaften in liberal-demokratisch verfassten, pluralistischen Gesellschaften
Auf dem Weg zu einer „öffentlichen Theologie“
Stellung der Religion in der säkularen Öffentlichkeit Nicht zuletzt die durch die Kriege und Konflikte im erweiterten Mittleren Osten hervorgerufenen Flüchtlingswellen nach Europa führen mit verstärkter Dringlichkeit die Frage nach einer vertieften Verortung der Religion an sich und der verschiedenen Religionsgemeinschaften in die aufgeklärte, westlich liberal-demokratisch verfasste Staatenwelt mit sich. Konkret ist zu fragen: Wie lassen sich die Beziehung von Religion an sich und Öffentlichkeit sowie die Rolle von Religionsgemeinschaften in der Öffentlichkeit unter den Prämissen moderner, säkularer, liberaler und immer pluralistischer werdenden post-modernen Gesellschaften bestimmen und gestalten? Sind Religion bzw. religiöse Kontexte Hindernisse auf dem Weg zu Objektivität und Neutralität und bedürfen daher einer Privatisierung, oder sind öffentlich vorhandene und gesellschaftlich tief verankerte religiöse Gemeinschaften vielmehr ein zu schützendes Element einer vielfältigen Zivilgesellschaft?
Interdisziplinäre Betrachtung Die Hauptstoßrichtung dieses interessanten Sammelbandes ist es, vor diesem Hintergrund die Bestimmung des Verhältnisses von Religion und Öffentlichkeit unter den Voraussetzungen moderner aufgeklärter Gesellschaften in einer interdisziplinären Zusammenschau von Religionssoziologie, Religionsphilosophie, Theologie und politischer Philosophie sowohl beschreibend als auch verbindlich zu beleuchten.
Das Buch gliedert sich in drei Teile. Der erste Teil geht dem Thema „Religion in spätmoderner Gesellschaft“ nach und untersucht aus religionssoziologischer wie theologischer Sicht den gestellten Themenkomplex. Der zweite Teil steht unter dem Titel „Religiöse Gründe in öffentlichen Diskursen“ und diskutiert das Thema aus religionsphilosophischer Betrachtungsweise. Dabei geht es insbesondere um eine „reflexive Säkularisierung“, die Religionen als Bewusstsein der Differenz versteht, ohne die klassisch-liberale These der Trennung von Religion und Politik zu bemühen und ohne eine „kooperative Übersetzung“ (nach Jürgen Habermas) einzufordern. Der dritte Teil des Buches setzt sich mit dem Thema „Religion und politische Öffentlichkeit“ auseinander, indem Ansätze der Politischen Philosophie mit theologischen Sichtweisen verbunden werden.
"Öffentliche Theologie" als Konzept In dem Zusammenhang könnten Religionen – pragmatisch verstanden als „soziale Praxis“ – als legitimer und auch notwendiger Bestandteil öffentlicher Debatten verstanden werden. Im Spannungsverhältnis zwischen Öffentlichkeit und der Frage nach Gott wird das Verständnis eines höchsten Wesens als „Sinn des Sinns“ auf den Weg gebracht. Diese „Öffentlichkeit Gottes symbolisiert dementsprechend die „prinzipiell öffentliche Zugänglichkeit“ der Welt. Letztendlich münden all diese beschreibenden und bestimmenden Anstrengungen der Autoren im Versuch einer Etablierung einer „öffentlichen Theologie“, die für jeden vernünftigen Menschen als ein akzeptables Angebot eines Lösungsansatzes erscheinen könnte. Bei allen kritischen Anmerkungen und Schwächen in Bezug auf die gesellschaftliche „Offenheit“ eines solchen Konzepts hat eine solche „öffentliche Theologie“ dennoch Relevanz und lohne sich, weiterentwickelt zu werden.
Ob eine Beschäftigung mit „Religion“ aus der Perspektive der aufgeklärten „Vernunft“ nicht nur erforderlich ist, weil eben diese Aufklärung nicht die Religion zum Verschwinden gebracht hat, sondern sich die Religion vielmehr als „konstitutives Element“ einer vernunftbegabten Weltanschauung im Kern darstellt, die es der Vernunft wiederum ermöglicht, ihre eigenen Ursachen und Hintergründe zu hinterfragen, um auf diese Weise davor bewahrt zu werden, zu einer „Ideologie“ abzugleiten, muss offen bleiben.
Höchst lesenswert.
Judith Könemann, Saskia Wendel (Hg.), Religion-Öffentlichkeit-Moderne, Transcript 2016, 350 Seiten.
Bewertung: *****