WELT IM WANDEL
Wie immer schon in der Vergangenheit der Menschheit irrten große Führungspersönlichkeiten in ihren "Gewissheiten" über die künftige geopolitische Gemengelage vor dem Hintergrund des Aufstiegs und des Niedergangs von Imperien und Allianzen. So auch der ehemalige britische Premierminister Winston Churchill. Bei seiner berühmt gewordenen Zürich-Rede 1946 dachte Churchill nicht daran - wie heute fast schon "geschichtsglättend" immer wieder betont wird -, dass Großbritannien nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ein fester Bestandteil auf dem Weg zu einem geeinten Europa sein würde. Vielmehr sollte das British Empire als eine "Weltmacht" neben den USA und der UdSSR auf internationaler Bühne agieren. Das vereinte Europa sollte ein "sicherheitspolitisches Glacis" gegenüber der Sowjetunion sein. "Dass das Empire schon bald nicht mehr existieren würde, war für Churchill unvorstellbar", betont der renommierte Politikwissenschaftler Herwig Münkler in seiner aktuellen geopolitischen Zeitanalyse. Die Rede Churchills in Zürich 1946 war jedenfalls nicht seine Intention für ein geeintes Europa. Letzteres sollte eben als "Bollwerk" gegenüber möglicher sowjetischer Aggression nach Westen für das British Empire dienen. Das sich kurz danach Churchills Vision als Illusion herauskristallisierte, war damals auch für ihn nicht absehbar.
Ost-West-Gegensatz als globaler "Bremser" gegenüber dem "globalen Süden" Wenn heute von einer "Weltunordnung" gesprochen wird, dann deutet dies auf ein Ende alter "Gewissheiten" im geopolitischen Gefüge hin. Der Ost-West-Gegensatz basierte als "Bremser von Veränderungen" des "globalen Nordens" gegenüber der übrigen Welt. Die damalige Bewegung der "Blockfreien" hatte während des Kalten Krieges keine Chance, an weltpolitischem Einfluss zu gewinnen. Der Fall der Berliner Mauer 1989 war der "Eckstein" zum fast "lautlosen" Ende des Kalten Krieges, der schließlich zum Ende der UdSSR und zum Zusammenbruch des Sowjetimperiums führte. Auch damals war es kaum vorstellbar, dass die Teilung Europas vorüber war.
Die unipolare Weltordnung nach dem Ende des Kalten Krieges wurde von den USA dominiert und währte rund zwanzig Jahre. Mit dem Aufstieg Chinas zur Großmacht und einem revisionistischen Russland unter Präsident Wladimir Putin scheint im Gefolge einer immer stärker werdenden BRICS-Staatengruppe diese von den Vereinigten Staaten dominierte, westlich geprägte Weltordnung mit ihren diversen internationalen Institutionen schubweise in eine unipolare Weltordnung überzugehen. Wo noch vor kurzem westliche Auguren von einer auf westlichen Werten als universelles Alleinstellungsmerkmal ausgingen und eine globalisierte Vision von Zusammenarbeit auf internationaler Ebene - natürlich unter westlichen Vorzeichen - ausgingen, scheinen diese westlich dominierten Vorstellungen ebenso langsam ihren Abschied zu nehmen.
Rolle der EU noch ungewiss Vor dem Hintergrund versucht die Europäische Union (EU) ihre Rolle in der multipolar werdenden Weltordnung zu finden. "Wirtschaftlich ein Riese; politisch ein Zwerg" - was früher für die Bundesrepublik Deutschland galt, scheint auch für die EU zu gelten. Der Ausgang des laufendenden Ukraine-Krieges wird zeigen, ob die EU in Hinkunft eine vernachlässigbare Größe sein wird oder nicht, meint Münkler.
Die Welt befindet sich derzeit in einer "beschleunigten Veränderung" der geopolitischen Gemengelage. Das steht fest. Der Autor beleuchtet im Rückblick auf historische Weltordnungen, Imperien und Machtkonstellationen ihre Entstehung, ihre jeweilige Blüte und ihren Zerfall. Dazu lässt er die "Analytiker großer Umbrüche", Thukydides, Machiavelli und Clausewitz zu Wort kommen.
Fünf-Mächte-Konstellation wahrscheinlich Aus der sogenannten "Weltunordnung" werde sich nach Münkler wahrscheinlich eine Fünf-Mächte-Konstellation (USA, China, Russland, Indien und die EU) herauskristallisieren. Ob die EU wirklich als politisch-militärische Großmacht gelten darf, mag bezweifelt werden. Jedenfalls müssten sich die Europäer dafür noch signifikant "fit" machen. Die nächsten Jahre werden zeigen, ob die EU diese inner- und außerstrukturelle Herausforderung im globalen Mächtekonzert schaffen wird.
Ein Scheitern der multipolaren Weltordnung ist ebenso nicht auszuschließen, wenn auch nicht wahrscheinlich. Dennoch sind Münklers Sätze in den "Nebel künftiger Ungewissheiten" hineingeschrieben - auch wenn er immer wieder "Rückversicherungen" und Antworten in der reichlichen menschlichen Historie sucht. Münklers Analyse ist scharfsinnig, aber dennoch ein Wagnis, "sich nicht zu weit hinauszulehnen" in eine Zukunft, die trotz aller triftiger Anhaltspunkte trotzdem noch nicht in Stein gemeißelt ist.
Wolfgang Taus
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