Die Zwischenkriegszeit - Mangel an demokratischem Grundverhalten

Nach der "Urkatastrophe" - ein irreversibler Einschnitt  Nach der „Urkatastrophe“ des „Großen Krieges“ mit all seinen zu Anfang des Krieges Ende Juli 1914 kaum für möglich gehaltenen destruktiven Dynamiken und Entwicklungen, die mit seinem Ende im November 1918 den europäischen Kontinent stark verändern würden, suchten die Siegermächte 1919 in Paris eine globale und vor allem friedliche Nachkriegsordnung insbesondere für Europa zu etablieren. Es wird jedenfalls deutlich, dass der Erste Weltkrieg in Europa und in Teilen Asiens einen „irreversiblen Einschnitt“ markiert hat: Die Habsburger Monarchie, das zaristische Russland und das Osmanische Reich gingen in der Folge als Vielvölkerstaaten unter.

http://www.campus.de/uploads/tx_saltbookproduct/cover_plain/9783593505213.jpgDemokratien in der Krise  Der deutsche Historiker Boris Barth geht in seinem tiefgehenden Werk über die Hintergründe der Krise der Demokratie zwischen 1918 und 1938 insbesondere der Frage nach, warum in den 1920er und 1930er Jahren so viele Demokratien in sich zusammenbrachen. Für den Autor geht es weniger um die Stichhaltigkeit der weiterhin kontrovers diskutierten These eines „zweiten Dreißigjährigen Krieges“, auch nicht direkt um die Richtigkeit derjenigen Sichtweise, dass die Zwischenkriegszeit Merkmale einer „Erschöpfungspause“ der Kontrahenten bedeutete, sondern um den Prozess der Erosion demokratischen Denkens und Handelns innerhalb der politischen Entscheidungsträger in den nunmehr vordergründig demokratisch verfassten europäischen Staaten.

Außer den zur Weltmacht aufgestiegenen USA und – mit Einschränkungen – dem britischen Empire wäre nach 1918/19, den folgenden zahlreichen kleinen und großen Grenzkriegen und Grenzkonflikten sowie den massiven ethnischen Säuberungen, keine europäische Macht in der Lage gewesen, weiterhin einen großen Konflikt fortzuführen, betont Barth. Frankreich stieß 1923 bereits durch das militärische Einschreiten im Ruhrgebiet wirtschaftlich an seine Grenzen; die neu entstandene UdSSR war damals nach dem Ende des blutigen Bürgerkriegs trotz aller internationalistischen, revolutionären Propaganda nicht imstande, eine expansive Eroberungspolitik durchzuhalten; ganz zu schweigen von den Verlierermächten des Ersten Weltkrieges.

Kein wirklicher Gestaltungswille  So war selbst bei den siegreichen Großmächten, die vor kaum lösbaren internen und externen Problemen auf globaler Ebene standen, „kein wirklicher Wille vorhanden“, die von ihnen gefassten Beschlüsse der Pariser Nachkriegsordnung auch vollumfänglich und konsequent durchzusetzen, hält Barth mit Recht fest.

So wurde erst nach 1924 einigermaßen Stabilität im internationalen Rahmen erreicht. Zuvor überlagerten diverse militärische Nachkriegsauseinandersetzungen zwischen 1919 und 1921/22 die internationale Gemengelage. Nach 1924 („Goldenen 20er Jahre“) schien man unter anderem in Europa endgültig den Wirren der jüngsten Vergangenheit entkommen zu sein. Eben weil diese neue Nachkriegsordnung dann aber „vordergründig erfolgreich“ war, wurde seit dem Ende der 20er Jahre, als massive Erosionen sichtbar wurden, verabsäumt, rechtzeitig international gegenzusteuern, ist Barth überzeugt. 

Sozialdarwinistisch aufgeladener Nationalismus  Sukzessive formierte sich hinter demokratischer Fassaden ein radikalisierter, sozialdarwinistisch aufgeladener Nationalismus. In vielen europäischen Staaten bildeten sich rechtsradikale und teilweise paramilitärische Subkulturen, die die bestehenden demokratischen Staatsformen als „offen feindlich“ erachteten. Der gesteigerte radikale Nationalismus orientierte sich vor allem auch an der „Ethnie“. So löste die Ethnisierung großer Bevölkerungsgruppen massive Vertreibungen aus. Der Vertrag von Lausanne förderte auf fatale Weise Vertreibungen und damit den gefährlichen Präzedenzfall für das gesamte 20. Jahrhundert. Flüchtlinge und Vertriebene trugen nicht nur zur Destabilisierung von demokratischen Mehrparteiensystemen bei, sondern förderten einmal mehr das Potential revanchistisch-rassistischen Gedankenguts, so der Autor.

Der Weg in die Despotie und in den Untergang  Ökonomisch brauten sich gegen Ende der „Goldenen Zwanziger Jahre“ dunkle Wolken zusammen. Einerseits war für Europa ein deutlicher wirtschaftlicher Bedeutungsverlust auf globaler Ebene erkennbar, andererseits befand sich Europa bereits in einem dichten Netz globaler Verflechtungen, dass sich die hereinbrechende Weltwirtschaftskrise von 1929 rasch über den Globus verbreiten konnte. Die Weltwirtschaftskrise war ein „Katalysator für die anschließende Entdemokratisierung in Europa“. Sie beschleunigte diesen destruktiven Prozess, war aber nicht alleine dafür verantwortlich. Es waren die Versuchungen angesichts der komplexen Krisenphänomene zu technokratisch-autoritären Lösungen zu greifen, denen die damaligen demokratischen politischen Eliten in Europa erlagen und damit die Welt erneut in Brand steckten. Jene technokratischen Visionen des damaligen Zeitgeistes konnten zwar nicht Demokratien völlig aus den Angeln heben. Sie hatten aber dazu beigetragen, dass autoritäre Lösungsansätze mitsamt zunehmend diktatorischer Notmaßnahmen den Weg in die Despotie und damit zu Chaos und Zerstörung ebneten. Höchst lesenswert.  

 

Boris Barth, Europa nach dem großen Krieg, Campus 2016, 361 Seiten.

Persönliche Bewertung: *****

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